Matthias Brandt Raumpatrouille Buch Roman Kiepenheuer Witsch
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Auf Raumpatrouille mit Matthias Brandt: Ein Kanzlerkind schreibt Geschichte(n)


Matthias Brandt hat mit »Raumpatrouille« Kindheitserinnerungen aus dem Bonn der Siebziger Jahre zu Papier gebracht. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist fließend, die kindliche Perspektive erwärmt das Herz.


Mit »Als hätte er nie etwas anderes gemacht als Schreiben« wirbt eine große Verlagsanzeige für Brandts Erstlingswerk. Selbst wer den Namen dem bekannten Schauspielergesicht zuordnen kann, sollte vor der Lektüre wissen: Der kleine Matthias ist in der Kanzlervilla der alten Bundeshauptstadt aufgewachsen, als Sohn von Willy und Rut Brandt. Damit kokettiert das Buch im Geheimen und Geschichten werden zu Geschichte.

Ein zeitloser Blick in eine außergewöhnliche Welt

Raumpatrouille enthält 14 Kurzgeschichten, aneinandergereiht in leichter Sprache, mit vielen beschreibenden Adjektiven, längst vergilbten Markennamen und musealen Relikten. Jede Episode zieht den Leser näher in die kindliche Gefühlswelt. Die Urlaubsepisoden fern der heimischen Rollenverteilung erwärmen das Herz. Polizeistreiche, Astronautenträume, Hundespiele oder gar vorpubertäre Fußballblamagen werfen einen liebevollen Blick auf die außergewöhnliche Welt des heranwachsenden Matthias. Gleichaltrige Leser werden sich in ihre eigene Kindheit zurückversetzt fühlen, Millenials im Internet nachschlagen, was ein Tauchsieder ist. Raumpatrouille ist ein zeitloses Buch für jedes Alter.

Brandts kleine Geschichten sind unterhaltsam und amüsant aus ihrer ungewöhnlichen Perspektive heraus. Sie werden einfühlsamer mit der Entfernung zur Kanzlervilla und der Nähe zu seinen Menschen. Er ist ein feiner Beobachter, der kleine Brandt. Er beschreibt detailliert, ohne anzumaßen oder überheblich zu sein. Es sind große Kinderaugen und ein mit sieben Jahren bereits hellwacher Geist, die hier den Stift führen. Das Schulchor-Ständchen zu Bundespräsident Lübkes Geburtstag ist so herrlich unprätentiös geschildert wie das persönliche Kaffeetrinken mit seinem senilen Freund Heinrich danach.

Mein Vater, der Bundeskanzler

Vater Brandt ist in der kindlichen Welt weder oft präsent noch als Bundeskanzler greifbar. Und wenn, dann schleicht eine zärtliche Tragikkomik durch die Zeilen. Das schiefe Familienleben lässt sich nur erahnen, ein möglicher Voyeurismus seitens der Leser wird nicht bedient. Eine Fahrradtour mit Herrn Wehner und rauchende Aschenbecher beobachtet Matthias wie aus dem Weltraum – ein Außerirdischer auf Raumpatrouille am Spielplatz der Politik.  

Hinter all dem schwelt eine kindliche Sehnsucht nach Nähe und Unbeschwertheit, doch Matthias urteilt nicht. Es ist sein Zuhause und er gibt es wieder aus der Sicht eines Kindes, dem zu viel Zuckerwatte nicht schmeckt und alltägliche Normalität fehlt. Brandts Geschichten leben nicht von Ihrem Handlungsort, sondern durch ihren Erzähler. Einem gewitzten Jungen, der sich in Freundschaft prügelt, um selbst kein Außenseiter zu sein. Der sich über die Sprache der Rheinländer wundert, den fröhlichen Postboten mit der Königin der Nacht vergleicht und dessen Arbeit als die schönste der Welt versteht.

Leicht und feingeistig: Eine Lektüre mit Nachhall

Raumpatrouille ist leichte und gerade deshalb feingeistige Lektüre im besten Sinne. Sie macht Freude, lässt schmunzeln und trägt ein kindliches Leuchten in sich. Es ist ein leises Buch, es wirkt, nimmt ein und hallt nach wie Matthias Brandt auf der Leinwand. Und so klingen die Gedanken und Sehnsüchte hinter seinen Worten, als hätte er nie etwas anderes gemacht, als Schreiben. Nicht auszudenken, wäre er wirklich Postbote geworden. (uh)


Raumpatrouille, Matthias Brandt, Kiepenheuer & Witsch 2016, 172 Seiten, 18 Euro